Kafka und das theologische politische Problem. Erster Teil
Dem Buch Hiob nach erlebt nur der Unschuldige den Zorn Gottes als Zorn, da ihn der Schuldige als Gerechtigkeit, Rache und Gleichgewicht im Kosmos empfindet.
Hiob weiß um seine völlige Unschuld, trotzdem aber, oder vielleicht deswegen, erfährt er die schlimmste Strafe. Hieraus folgt, dass sich das Königtum Gottes nur darüber begründet, dass Gott keine Ethik befolgt, indem er nicht aufgrund der persönlichen Geschichte, der Handlungen und der Umstände des Subjekts wirkt, sondern nur mittels bloßer Entscheidungen. Diese Entscheidungen sind grundlos, willkürlich, sogar sinnlos. Die Willkür Gottes ist das Eigentliche, was von Hiob erfahren wird.
Der Diskurs über Sinn- und Grundlosigkeit von Entscheidungen führt uns unmittelbar in den Bereich des theologisch-politischen Problems. Genau dieses begegnet uns auch im Kern der Erzählungen und Romane Kafkas.
Die Tatsache, dass es in Kafkas Literatur keinen Gott gibt, weil er verschwunden, verdeckt oder, genauer genommen, aufgehoben ist, ist völlig irrelevant. In der säkularisierten Welt der modernen Literatur sowie in der des modernen theologisch-politischen Problems ist die eigentliche göttliche Präsenz nicht mehr als eine Spitzfindigkeit, weil einzig die Spur Gottes von Bedeutung ist.
Wenn wir zum Beispiel Kafkas Prozess nehmen, begegnet uns dieselbe Hiob-Struktur: von Anfang an weiß K. sich unschuldig, wie wir in den ersten Zeilen lesen können: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet“. Dahinter steht die hier wie bei Hiob stets wiederkehrende Frage: Was habe ich getan?